Resilient Leadership

Resilient Leadership – Die innere Führung der Führungskraft

Führung beginnt nicht mit dem ersten Anruf im Krisenstab, sondern lange vorher – im Inneren der Führungskraft. Resilient Leadership ist der Name für jene Fähigkeit, unter Druck nicht nur zu funktionieren, sondern Orientierung zu geben. Nicht unerschütterlich zu sein, sondern anpassungsfähig, klar und menschlich. Ein Konzept, das den Begriff der Resilienz aus der Psychologie in die Sprache der Führung überträgt – und ihn dort zu einem tragenden Prinzip macht. Einer der zentralen Vordenker dieses Ansatzes ist Karsten Drath, der mit dem FiRE-Modell (Factors improving Resilience Effectiveness) ein ebenso wissenschaftlich fundiertes wie praxisnahes Rahmenwerk geschaffen hat.

1. Der theoretische Rahmen – Zwischen Selbstführung und Systemdenken

Resiliente Führung ist keine Persönlichkeitseigenschaft, sondern ein komplexes Zusammenspiel. Sie basiert auf psychologischen Konzepten wie Emotionsregulation, kognitiver Flexibilität, Salutogenese und Selbstwirksamkeit – und verknüpft diese mit Führungsmodellen aus der systemischen Beratung, der entwicklungsorientierten Führung sowie der positiven Psychologie.

Drath, ursprünglich Ingenieur und heute erfahrener Coach, bringt in seine Arbeit Erkenntnisse aus Neurobiologie, Psychotherapie und Organisationsentwicklung ein. Mit dem FiRE-Modell – erstmals ausführlich vorgestellt in „Resilient Leadership“ (2014) – schafft er einen Rahmen, der Resilienz nicht als diffuse Widerstandskraft, sondern als erlernbare Führungsdisziplin verstehbar macht. Die Stoßrichtung ist klar: Resilienz ist trainierbar – aber nicht punktuell, sondern ganzheitlich.

Im Zentrum steht die Fähigkeit zur Selbstführung: Wer andere durch Unsicherheit führen will, muss mit der eigenen Unruhe umgehen können. Führung bedeutet hier nicht das Verdrängen von Emotionen, sondern deren bewusste Steuerung. Resiliente Führungskraft zu sein heißt: präsent bleiben, während andere sich verlieren. Klar bleiben, wenn die Lage verschwimmt. Und Haltung zeigen, wenn Sicherheit fehlt.

Die Wirkmechanismen sind dynamisch: Selbstreflexion, Training, soziale Unterstützung und die gezielte Veränderung von Routinen und Denkmustern wirken in einer wechselseitigen Verstärkung. Entscheidend ist dabei weniger die einzelne Technik als der übergreifende Denkrahmen: Resilienz ist kein Zustand, sondern ein System. Und dieses System kann aufgebaut, gestärkt und gepflegt werden – durch Führung.

2. Die Modellstruktur – Acht Sphären innerer Stabilität

Das FiRE-Modell gleicht einer lebendigen Flamme: Im Kern liegen jene Elemente, die kaum veränderbar sind – unsere Persönlichkeit etwa. Nach außen hin folgen immer leichter beeinflussbare Sphären – von inneren Haltungen über Verhalten bis hin zu Lebensstil. Diese acht Sphären bilden das Gerüst resilienter Führung.

Persönlichkeit steht im Zentrum. Sie ist nicht gestaltbar im engeren Sinn, aber tief wirksam: Introversion, Stressreaktivität oder Neurotizismus wirken wie Grundfarben auf die Führungserfahrung. Wer sich selbst kennt, kann besser navigieren. Resiliente Führung beginnt mit Selbstkenntnis – nicht als Etikett, sondern als Verständnis für eigene Muster.

Die zweite Sphäre betrifft Haltung und Werte. Sie sind veränderbar – aber nur, wenn wir sie uns bewusst machen. Eine Führungskraft, die in Krisen jede Form von Kontrolle verteidigt, wird weniger resilient agieren als jemand, der auf Vertrauen und Entwicklung setzt. Die zentrale Denkhaltung: Bin ich getrieben – oder bewusst gestaltend?

In der dritten Sphäre geht es um emotionale Selbstregulation. Hier entscheidet sich, ob Emotionen lähmen oder leiten. Wer gelernt hat, Angst zu erkennen, bevor sie eskaliert, wer seine Emotionen benennen und konstruktiv kanalisieren kann, bleibt in Bewegung, während andere erstarren. Resilienz beginnt hier mit innerer Ehrlichkeit.

Kognitive Flexibilität beschreibt die Fähigkeit, Perspektiven zu wechseln – ohne sich zu verlieren. Es ist die Sphäre der mentalen Elastizität: neue Hypothesen denken, Ambivalenzen aushalten, kreative Lösungen zulassen. Resiliente Führung sieht nicht nur Optionen – sie schafft welche.

Soziale Unterstützung ist keine Schwäche, sondern ein entscheidender Wirkfaktor. Netzwerke, Austausch, Kollegialität – all das bildet ein Auffangnetz, das Führung entlastet. Wer resilient führen will, muss lernen, sich helfen zu lassen – und gleichzeitig selbst eine verlässliche Stütze für andere zu sein.

In der sechsten Sphäre wirken Sinn und Zielorientierung. Wenn das Warum verschwimmt, zerfällt das Wozu. Führung in Krisen braucht Klarheit über das, was trägt – jenseits von Quartalszielen. Der Sinn verbindet Handeln mit Haltung. Wer ihn kennt, wird nicht vom Sturm erfasst, sondern von innen heraus stabilisiert.

Die siebte Sphäre betrifft Verhaltensmuster. Sie sind trainierbar – und entscheiden im Ernstfall über Wirkung. Wer in Stresssituationen automatisch in Mikromanagement verfällt, blockiert Lösungen. Resiliente Führung bedeutet, neue Muster einzuüben – bewusst, regelmäßig, systematisch.

Schließlich bildet der Lebensstil die äußere Schicht. Ernährung, Schlaf, Bewegung, Pausen – oft unterschätzt, aber biologisch zentral. Resilienz ist auch physiologisch: Wer sich selbst nicht versorgt, kann auch andere nicht versorgen. Der Körper ist kein Anhang – er ist das Fundament.

Diese acht Sphären stehen nicht nebeneinander – sie wirken zusammen. Und sie lassen sich nicht einmalig entwickeln, sondern müssen gepflegt werden. Resiliente Führung ist tägliche Arbeit an sich selbst – mit Wirkung auf alle anderen.

Resilient Leadership – Die Führungsdisziplin des 21. Jahrhunderts

Resiliente Führung ist mehr als psychische Robustheit. Sie ist die Kunst, unter Unsicherheit wirksam zu bleiben – ohne sich selbst zu verlieren. Das FiRE-Modell zeigt eindrucksvoll, dass diese Kunst erlernbar ist: nicht durch Dogma, sondern durch Selbstbeobachtung, Reflexion und Entwicklung. Wer resilient führt, tut mehr als Probleme zu lösen – er oder sie gibt Richtung, Vertrauen und Haltung.

In einer Welt, in der Wandel die einzige Konstante ist, wird Resilienz zur neuen Kernkompetenz der Führung. Nicht als Panzer – sondern als inneres Navigationssystem. Nicht als Technik – sondern als Haltung. Nicht für sich allein – sondern für das Ganze. Resiliente Führung beginnt innen – und wirkt nach außen.

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