Wenn Organisationen sich verändern, braucht es keine Parolen – sondern Geschichten.
Diese Überzeugung eint die beiden wichtigsten Theoretiker des organisationalen Storytellings: Stephen Denning und David Boje. Wo klassische Kommunikation ins Stocken gerät, entfalten Erzählungen ihre volle Kraft: Sie verbinden, orientieren, mobilisieren. Und sie stiften Sinn – in Zeiten, in denen Sinn selbst zur knappen Ressource geworden ist.
1. Theoretischer Rahmen: Storytelling als Sinnarchitektur
In seinem Werk The Springboard: How Storytelling Ignites Action in Knowledge-Era Organizations (2001) positioniert Stephen Denning Storytelling als zentrales Führungsinstrument in der postindustriellen Wissensgesellschaft. Er entwickelt die sogenannte Springboard Story – eine gezielt platzierte Geschichte, die nicht belehrt, sondern inspiriert. Statt PowerPoint-Folien nutzt Denning emotionale Resonanz, um Wandel auszulösen.
Parallel dazu dekonstruiert David Boje in Narrative Methods for Organizational and Communication Research (2001) die Illusion der geschlossenen, linearen Unternehmensgeschichte. Seine Theorie der antenarratives und der polyphonen Organisation zeigt: In Unternehmen existieren immer mehrere, oft widersprüchliche Erzählungen zugleich. Wer führen will, muss nicht nur erzählen – sondern zuhören, integrieren und umdeuten.
Beide Konzepte sind eingebettet in systemische Führungstheorien und entwicklungsorientierte Organisationsmodelle. Sie verstehen Organisationen nicht als Maschinen, sondern als lebendige, sich erzählende Systeme. Wo Werte, Identität und Wandel ineinandergreifen, wird Storytelling zur kulturellen Infrastruktur strategischer Führung.
Wirkmechanismen:
- Emotionale Aktivierung schafft Anschlussfähigkeit jenseits reiner Fakten
- Kollektive Sinnbildung verankert Orientierung in Zeiten von Komplexität
- Wissensverankerung macht implizites Erfahrungswissen zugänglich und teilbar
- Dialogförderung durch Geschichten erzeugt soziale Kohärenz statt Instruktion
In der Essenz ist Storytelling kein Mittel zum Zweck – es ist Führung durch Bedeutung.
2. Modellstruktur und Anwendungslogik: Vom Erzählen zum Verändern
Storytelling nach Denning und Boje ist kein Baukasten, sondern eine dynamische Praxis. Doch beide Modelle bieten Strukturen, die Orientierung geben:
Die Springboard Story nach Denning
Diese Erzählform folgt keiner klassischen Heldenreise, sondern setzt auf eine wahre, kurze und pointierte Geschichte, die eine neue Sichtweise ermöglicht. Sie ist nicht abgeschlossen, sondern öffnet Raum – wie ein Sprungbrett.
Aufgabe: Initiierung von Veränderung durch konkrete Anschlussfähigkeit
Haltung: Bescheidenheit statt Pathos, Authentizität statt Rhetorik
Herausforderung: Nicht überzeugen, sondern inneres Mitgehen ermöglichen
Skillset: Beobachtungsfähigkeit, Dramaturgie, Timing, Relevanz
Polyphonie und Antenarrative nach Boje
Boje betrachtet Organisationen als Bühnen vieler Stimmen. Offizielle Narrative sind oft glatt – aber wahre Veränderung beginnt in den Rissen: den „antenarratives“, den noch unfertigen, randständigen Geschichten. Führung heißt hier: zuhören, Bedeutung aushandeln, neue Narrative emergieren lassen.
Aufgabe: Integration widersprüchlicher Perspektiven zu strategischer Vielstimmigkeit
Haltung: Neugier gegenüber Irritation, Reflexionsbereitschaft
Herausforderung: Kontrolle abgeben, Unsicherheiten zulassen
Skillset: Narrative Diagnostik, diskursive Offenheit, Restorying-Kompetenz
Lernfelder und Mindsets in der Praxis
In der Anwendung verlangt strategisches Storytelling ein radikales Umdenken:
Führung wird nicht länger als Steuerung verstanden, sondern als Sinnstiftung im Gespräch. Storytelling wird dabei zur Brücke – zwischen Vision und Alltag, Strategie und Kultur, Top-down und Bottom-up. Die Zeitverwendung verlagert sich: Weg von alleiniger Zielkommunikation, hin zu gezieltem Raum für kollektives Erzählen, Deuten und Verknüpfen.
Storytelling als Kulturtechnik strategischer Führung
Was Denning und Boje verbindet, ist nicht nur ihre Liebe zur Geschichte – sondern ihre Überzeugung, dass Organisationen sich über Geschichten selbst verstehen und verändern. Während Denning das strategische Erzählen als Werkzeug für Wandel etabliert, gibt Boje uns die Fähigkeit, unter der Oberfläche zu hören – und Gegenerzählungen nicht zu fürchten, sondern einzuladen.
Beide zeigen: Wer führen will, muss Geschichten nicht nur erzählen können – er muss bereit sein, Teil der Geschichte zu werden.
„The most powerful tool for change is not strategy. It’s a story that moves.“
– Stephen Denning
„Organizations are storytelling systems – fragmented, dynamic, never complete.“
– David Boje
Strategisches Storytelling ist somit keine Technik. Es ist eine Haltung. Und eine Einladung:
Zur gemeinsamen Erzählung einer Zukunft, die noch geschrieben werden will.
Literatur zum Strategischen Storytelling
Autor: Stephen Denning
- The Springboard: How Storytelling Ignites Action in Knowledge-Era Organizations (2001)
- The Leader’s Guide to Storytelling: Mastering the Art and Discipline of Business Narrative (2011)
- Squirrel Inc.: A Fable of Leadership through Storytelling (2004)
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Autor: David Boje
- Storytelling Organizations (2008)
- Narrative Methods for Organizational & Communication Research
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