Die Kunst der Bedeutung – Symbolisches Management und kulturelle Ikonen als Führungspraxis
In Zeiten ständiger Transformation suchen Menschen in Organisationen weniger nach Anweisungen – sie suchen nach Bedeutung. Genau hier setzt das Konzept des symbolischen Managements an. Es betrachtet Führung nicht als bloße Steuerung von Ressourcen, sondern als die bewusste Gestaltung kultureller Bedeutung. Gareth Morgan und Karl E. Weick, zwei der einflussreichsten Organisationstheoretiker des 20. Jahrhunderts, haben mit ihren Ansätzen den Blick auf Unternehmen als Sinnsysteme geöffnet – nicht als Maschinen, sondern als lebendige, erzählende, symbolisch aufgeladene Räume.
1. Theoretischer Rahmen: Organisation als Symbolsystem
Bereits in Images of Organization (1986) entwarf Gareth Morgan ein neues Paradigma: Organisationen sind mehr als formale Strukturen – sie sind Theater. In dieser Metapher wird Führung zur Inszenierung, Kultur zum Bühnenbild und Kommunikation zum Repertoire kollektiver Bedeutungen. Führungskräfte agieren nicht allein als Entscheider, sondern als Sinnarchitekten, die Deutungsspielräume gestalten.
Karl Weick wiederum lenkte den Fokus in Sensemaking in Organizations (1995) auf die Prozesse, in denen Organisationen ihre Umwelt nicht nur interpretieren, sondern aktiv miterschaffen. Der Schlüsselbegriff lautet: Sensemaking – ein kontinuierlicher, sozialer Prozess, in dem mehrdeutige Erfahrungen zu handlungsrelevanten Geschichten verdichtet werden.
Diese Ansätze gehören zu einer systemisch-konstruktivistischen Führungstheorie, in der Realität nicht gegeben ist, sondern erzeugt wird – durch Sprache, Symbole, Rituale. Daraus entsteht eine neue Führungslogik: Führung als symbolische Intervention, als Fähigkeit, kollektive Bedeutungsräume zu öffnen, zu bespielen und in Zeiten des Wandels umzudeuten.
Wirkmechanismen
Im Zentrum steht der Dreiklang: Gestaltung – Deutung – Erinnerung. Ereignisse werden nicht nur erlebt, sondern symbolisch gerahmt, narrativ eingebettet und schließlich kulturell bewahrt. Rituale, Ikonen und Narrative sind dabei keine „weichen Faktoren“, sondern handfeste Steuerungsinstrumente, die Verhalten, Orientierung und Identität prägen.
Führung gelingt hier, wenn sie symbolische Kohärenz schafft – das Gefühl, dass Werte, Geschichten und Handlungen zueinander passen. Symbole sind dann wirksam, wenn sie authentisch, situationsbezogen und emotional aufgeladen sind. In ihrer stärksten Form wirken sie identitätsstiftend – wie die Gründungsmythen Roms, die bis heute Orientierung geben.
2. Modellstruktur und Anwendungslogik: Von der Handlung zum Sinn
Das Modell symbolischen Managements lässt sich entlang dreier Dimensionen entfalten:
1. Symbolische Praxis (Handlungen mit Bedeutung)
Führungshandeln wird nicht mehr nur auf Effektivität geprüft, sondern auf Sinngehalt: Wie wirkt eine Entscheidung symbolisch? Welche Erzählung erzeugt sie?
Aufgabe: Bedeutungswirksame Handlungen inszenieren – bewusst, situationsspezifisch, mit kulturellem Echo
Herausforderung: Symbolik entsteht nicht durch Absicht allein – sie wirkt nur, wenn sie glaubwürdig ist
Skillset: Dramaturgisches Denken, kulturelle Intuition, Sensibilität für Timing und Wirkung
2. Kulturelle Ikonen (verkörperte Werte)
Ikonen – ob Objekte, Personen oder Rituale – sind verdichtete Träger kultureller Bedeutung. Sie funktionieren wie Anker im Strom organisationaler Veränderung.
Aufgabe: Ikonen identifizieren oder schaffen, die kollektive Werte verkörpern (z. B. ein Raum, ein Symbolwort, ein Gründungsdokument)
Herausforderung: Die Gefahr der Entleerung – Ikonen, die nicht gepflegt werden, verkommen zu Staffage
Skillset: Semiologische Lesefähigkeit, kuratorisches Denken, Fähigkeit zur Ritualpflege
3. Sinnarchitektur (Gestaltung kollektiver Deutung)
Führung ist in diesem Modell ein moderierter Deutungsprozess. Weick spricht von „Enactment“: Realität entsteht im Akt der Interpretation.
Aufgabe: Sinnstiftung nicht diktieren, sondern moderieren – in Dialogen, Erzählformaten, kollektiven Reflexionen
Herausforderung: Vielstimmigkeit zulassen, ohne Beliebigkeit zu erzeugen
Skillset: Diskursive Führung, dialogisches Mindset, Fähigkeit zur Integration widersprüchlicher Narrative
Symbolisches Management und kulturelle Ikonen: Führen heißt Bedeutungsräume gestalten
Symbolisches Management ist keine Dekoration – es ist das Fundament strategischer Führung in komplexen, postbürokratischen Organisationen. Morgan und Weick zeigen: Wer Wandel gestalten will, muss kulturelle Ikonen schaffen, Rituale pflegen und Narrative orchestrieren. Organisationen leben nicht von Zahlen allein – sie leben von geteilten Geschichten, gelebten Symbolen und der Fähigkeit, gemeinsam Sinn zu erzeugen.
In einer Welt, in der Unsicherheit zur Normalität geworden ist, gilt mehr denn je:
Führung beginnt dort, wo Bedeutung entsteht.
Und sie endet dort, wo Symbole leer werden.
Die Herausforderung für moderne Führungskräfte liegt nicht im Beherrschen aller Tools – sondern im Sinn für das Sinnhafte. Wer diesen entwickelt, wird zur Gestalterin kollektiver Identität. Und zur Erzählerin einer Kultur, die trägt – durch Wandel, Widerspruch und Zeiten der Neuverhandlung.
Literatur zu Symbolisches Management und kulturelle Ikonen
Autor: Gareth Morgan
- Images of Organization (1986)
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Autor: Karl E. Weick
- Sensemaking in Organizations (1995)
- The Social Psychology of Organizing (1979)
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