Leadership Pipeline Modell

Führungsentwicklung mit System nach Charan, Drotter und Noel: Wie man Führung lernen kann – Stufe für Stufe

Das Leadership Pipeline Modell wurde von Ram Charan, Stephen Drotter und James Noel entwickelt und erstmals 2001 in ihrem Werk
„The Leadership Pipeline: How to Build the Leadership-Powered Company“ (2001, überarbeitete Auflage 2011) vorgestellt.

  • Ram Charan ist Unternehmensberater mit Fokus auf Strategie und Führung.
  • Stephen Drotter war u.a. bei General Electric für Leadership Development zuständig und prägte maßgeblich die Karrierearchitektur.
  • James Noel war am Center for Creative Leadership tätig und brachte Perspektiven aus der Führungsforschung ein.

Theoretische Verortung

Das Modell lässt sich in folgende theoretische Strömungen einordnen:

  • Entwicklungsorientierte Führung: Die zentrale Idee ist, dass Führung „wächst“ – entlang klarer Übergänge mit neuen Anforderungen. Hier finden sich Parallelen zu Kegans Entwicklungsstufen, Schaeffers Entwicklungsmodell oder auch Eriksons Stufentheorie.
  • Kompetenzmodelle: Jede Passage ist mit klar definierten Skills, Haltungen und Verhaltensweisen verbunden – ähnlich wie bei Boyatzis oder Lominger.
  • Systemische Führung: Führung ist kein isolierter Akt, sondern Teil einer systemisch verankerten Rollenarchitektur. Jede Ebene beeinflusst die darunterliegende – ein Prinzip der vertikalen Kohärenz.
  • Strategisches Talentmanagement: Das Modell wurde stark von GE’s systematischem Leadership Development inspiriert und trägt Züge von McKinsey’s Talent-to-Value-Konzept.

Wirkmechanismen

  • Passagenlogik: Jede Führungsstufe erfordert einen radikalen Wechsel in Denkweise, Zeitverwendung und Verantwortlichkeit. Ohne diesen Wechsel bleiben Führungskräfte in alten Mustern stecken („falsche Führung auf der richtigen Ebene“).
  • Entwicklung statt Beförderung: Führung muss bewusst gelernt und begleitet werden. Es geht nicht um Titel, sondern um Transformation.
  • Kaskadierende Verantwortung: Jede Führungskraft ist verantwortlich für die Entwicklung der nächsten Ebene – Leadership ist selbstverstärkend.

Erfolgsfaktoren

  • Klares Kompetenzmodell pro Passage
  • Top-Management Engagement
  • Verankerung im Performance Management
  • Mentoring, Coaching, Training
  • Konsistenz über Hierarchieebenen hinweg
  • Transparente Karrierearchitektur

Modellstruktur und Anwendungslogik

Das Modell unterscheidet sechs zentrale Führungspassagen, in denen sich Führung grundlegend verändert:


1. Von der Selbstführung zur Führung anderer

Aufgaben: Vom Fachexperten zur ersten Führungsrolle (Teamleitung).
Verantwortung: Delegation, operative Zielerreichung, Mitarbeiterentwicklung.
Haltung: Weniger „selbst tun“, mehr „ermöglichen“.
Herausforderungen: Loslassen eigener operativer Exzellenz, Vertrauen in andere.
Skills: Kommunikation, Feedback, Delegation, Coaching.
Zeitverwendung: Weniger Produktion, mehr Mitarbeiterführung.
Mindset: „Der Erfolg des Teams ist mein Erfolg.“


2. Von der Führung anderer zur Führung von Führungskräften

Aufgaben: Verantwortung für mehrere Teams durch deren Führungskräfte.
Verantwortung: Entwicklung von Führungstalenten, Teamsteuerung durch andere.
Haltung: Führung durch indirekte Wirkung.
Herausforderungen: Kontrolle loslassen, Vertrauen in Zweitebene.
Skills: Strategisches Denken, Einflussnahme, Management über KPIs.
Zeitverwendung: Weniger im Tagesgeschäft, mehr in Führung und Coaching von Führungskräften.
Mindset: „Ich führe durch andere.“


3. Von der Führung von Führungskräften zur funktionalen Führung

Aufgaben: Leitung eines gesamten Funktionsbereichs (z. B. Marketing, IT).
Verantwortung: Bereichsstrategie, Budget, Ressourcensteuerung.
Haltung: Funktion als Wertschöpfungseinheit denken.
Herausforderungen: Silodenken vermeiden, funktionsübergreifend denken.
Skills: Funktionsstrategie, Priorisierung, Ressourcenallokation.
Zeitverwendung: Strategische Steuerung, übergreifende Abstimmung.
Mindset: „Ich trage Verantwortung für eine gesamte Wertschöpfungseinheit.“


4. Von der funktionalen zur Geschäftsleitung

Aufgaben: Steuerung mehrerer Funktionen mit Gesamtverantwortung.
Verantwortung: Geschäftseinheit mit P&L-Verantwortung.
Haltung: Ganzheitliches unternehmerisches Denken.
Herausforderungen: Interdisziplinarität, Ergebnisverantwortung, Marktsteuerung.
Skills: Business acumen, Change Management, Stakeholder-Kommunikation.
Zeitverwendung: Strategisches Steering, Markt- und Kundenorientierung.
Mindset: „Ich denke in Geschäftsmodellen, nicht in Abteilungen.“


5. Von der Geschäftsleitung zur Gruppenleitung

Aufgaben: Koordination mehrerer Geschäftseinheiten.
Verantwortung: Portfoliosteuerung, Synergien heben, strategische Ausrichtung.
Haltung: Denken in Systemlogiken und Wertflüssen.
Herausforderungen: Balance zwischen Autonomie und Integration.
Skills: Synergiemanagement, Governance, strategische Portfoliosteuerung.
Zeitverwendung: Abstimmung, Beziehungsmanagement, Visionstransfer.
Mindset: „Ich entwickle die Organisation über Strukturen hinweg.“


6. Von der Gruppenleitung zur Unternehmensleitung

Aufgaben: Gesamtverantwortung für das Unternehmen.
Verantwortung: Vision, Stakeholder-Management, Zukunftsfähigkeit.
Haltung: Führung über Bedeutung, Kultur und Richtung.
Herausforderungen: Ambiguität, mediale Präsenz, Nachhaltigkeit.
Skills: Visionäres Denken, Kulturentwicklung, kommunikative Souveränität.
Zeitverwendung: Langfristige Strategie, Marktpositionierung, externe Beziehungen.
Mindset: „Ich bin Hüter der Vision und Kultur.“


PassageBeschreibung
1. Von der Selbstführung zur Führung andererÜbergang vom Experten zur ersten Führungsrolle (z.B. Teamleiter), Fokus auf Delegation und Mitarbeiterentwicklung.
2. Führung anderer zur Führung von FührungskräftenVerantwortung für mehrere Teams und deren Leiter, Entwicklung von strategischem Denken und abteilungsübergreifender Zusammenarbeit3.
3. Führung von Führungskräften zur Bereichsleitung (Funktionale Führung)Leitung eines gesamten Funktionsbereichs, Fokus auf strategische Planung und Ressourcensteuerung.
4. Bereichsleitung zur GeschäftsleitungÜbernahme von Geschäftsverantwortung, Steuerung mehrerer Funktionen, Ergebnisverantwortung für Geschäftseinheiten.
5. Geschäftsleitung zur GruppenleitungKoordination mehrerer Geschäftseinheiten, Entwicklung von Synergien und strategischer Ausrichtung.
6. Gruppenleitung zur UnternehmensleitungGesamtverantwortung für das Unternehmen, Vision, Stakeholder-Management und langfristige Strategie.
Die Passagen des Leadership Pipeline Modell

Praxisnahe Tipps für die Anwendung in der Führungsarbeit

  1. Reflexion als Pflichtübung
    Nutze die Passagen als regelmäßigen Reflexionsrahmen – z. B. in Jahresgesprächen, Coaching oder Team-Retrospektiven.
  2. Entwicklungspläne anpassen
    Erstelle individuelle Entwicklungspläne entlang der Pipeline – fokussiert auf die nächste Passage, nicht auf kurzfristige Projekte.
  3. Feedback entlang der drei Dimensionen
    Führe Feedbackgespräche strukturiert entlang von Skills, Zeitverwendung und Haltung.
  4. Mentoring-Verantwortung fest verankern
    Verpflichte Führungskräfte, bewusst und regelmäßig Nachfolger aufzubauen und zu coachen.
  5. HR als Systemarchitekt, nicht als Trainer
    Personalabteilungen sollten nicht primär Trainings liefern, sondern die Architektur der Passagen im Unternehmen verankern.
  6. Klarheit über Rollen schaffen
    Viele Missverständnisse entstehen, wenn Erwartungen nicht mit der aktuellen Passage abgeglichen werden. Nutze die Pipeline zur Rollenklarheit.

Das Leadership Pipeline Modell

Das Leadership Pipeline Modell bietet weit mehr als eine Karriereleiter – es ist eine Entwicklungsmatrix für Führungskultur. Es zeigt: Führung muss nicht nur „mehr“, sondern „anders“ werden. Wer Passagen nicht bewusst gestaltet, riskiert Rückfälle in alte Muster. Wer sie ernst nimmt, schafft einen klaren, lernorientierten und anschlussfähigen Rahmen für nachhaltige Führungsentwicklung.

Autor: Gerald Dehlow

Hi, mein Name ist Gerald. Auf diesem Blog trage ich Wissen zusammen, das mir in meiner täglichen Arbeit als Content-Stratege, Experte und Führungskraft hilft. Mich reizt die Mischung aus Technik und Inhalt, die Content zum Leben erweckt. Content is King!

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